Giftgas in Syrien: Don´t shoot the messenger – listen to him

21. April 2017   —   In den Medien herrscht große Aufregung um den Nahost-Experten und Autor Michael Lüders, der eine vom Mainstream abweichende Sicht zum Syrien-Konflikt vertritt. Was vielen gar nicht passt. Lüders´ Buch „Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet“ war einer der größten Sachbuchbestseller der letzten Jahre in Deutschland. Der gerade erschienene Nachfolgeband „Die den Sturm ernten: Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“ steht aktuell auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.

Lüders war um die Jahrtausendwende schon mal hochangesehener Nahost-Korrespondent der ZEIT, bevor er dort kurz nach 9/11 „hinauskomplimentiert“ wurde, laut gut informierten Kreisen auf Betreiben von Josef Joffe, weil er, so ein Branchenkenner mir gegenüber, „den Nahen Osten nicht durch die transatlantische Brille sah“.

Mittlerweile erreicht dieser nonkonforme Autor die großen Fernsehbühnen von Markus Lanz und Anne Will, die sich kürzlich Mühe gab, ihren Gast als interessengeleitet zu denunzieren. Aktuell erläutert der (eher etablierte und vom Mainstream akzeptierte) Medienkritiker Stefan Niggemeier, weshalb die Angriffe auf Lüders als fragwürdig gelten können. (Ergänzung 24. April: Lüders hat inzwischen eine detaillierte Stellungnahme zu den Vorwürfen gegen ihn abgegeben, aus der u.a. hervorgeht, dass Spiegel Online ihn falsch zitiert hat.)

Lüders wird dabei vorgeworfen, er stütze sich im Streit um die Verantwortung für Giftgasangriffe in Syrien vor allem auf den US-Autor Seymour Hersh. Dieser sei aber selbst „umstritten“, mithin also auch Lüders Darstellung. Dieses Argumentationsmuster ist in den Leitmedien beliebt und gleicht einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Wer vom Mainstream abweicht ist – logisch – umstritten und muss daher sehr kritisch gesehen werden, besser gleich ausgegrenzt und gar nicht erst angehört.

Was mit solcher Rhetorik bewiesen wird, ist allerdings weniger journalistische Kompetenz, als vielmehr eine Anbetung des Konformismus. Wer Lüders oder Hersh seriös widersprechen möchte, der sollte schon die Personenebene verlassen können, das alberne Etikett „umstritten“ nicht benötigen, und sich stattdessen auf die Fakten- und Indizieneben begeben. Doch wie Hersh – auch so ein ungeliebter Überbringer unangenehmer Fakten und Perspektiven – schon vor einiger Zeit im Interview seufzend bekannte:

„What the press doesn´t do – god, I wish reporters would read before they write! – that´s all you have to do is read, because there is a written record.“

Da das Lesen der dokumentieren Realität – zumindest ihres „unpassenden“ Teils – vielen Kollegen offenbar tatsächlich schwer fällt, anbei ein lehrreiches und informatives halbstündiges Interview mit Seymour Hersh, insbesondere zum Giftgasangriff in Syrien von 2013, aber auch zu weiteren spannenden Einblicken in konkrete Machtpolitik.

3 Gedanken zu „Giftgas in Syrien: Don´t shoot the messenger – listen to him

  1. Hans Kritikus

    Mich wundert eigentlich, dass M. Lüders eine der stärksten Quellen nicht erwähnt.

    Prof. Theodore A. Postol und Richard Lloyd, früherer UN-Waffeninspektor vom Massachussets Institute of Technology kommen zu dem Ergebnis, dass aus technischen Gründen für das Massaker in Ost-Gouta nur die islamistische Opposition in Frage kommt. Sie haben die Reichweiten der verwendeten Geschosse untersucht, und mit der Karte der US-Regierung verglichen. Demzufolge konnte die syrische Armee nicht der Verursacher sein.

    Klicke, um auf possible-implications-of-bad-intelligence.pdf zuzugreifen

    Prof. Theodore A. Postol und Richard Lloyd, früherer UN-Waffeninspektor:
    „The UN Independent Assessment of the Range of the Chemical Munition Is in Exact Agreement with Our Findings.
    This Indicates That These Munitions Could Not Possibly Have Been Fired at East Ghouta from the “Heahe Syrian Government Controlled Area Shown in the Intelligence Map Published by the White House

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  2. marie

    was erlauben herr schreyer eine alternative zu den aufwendig konzertierten mainstream-chören auch nur zu erwähnen? ein solo von herrn lüders kann nur noch als schlechtes beispiel dieser immensen choreografie vorgeführt werden.

    die alternativlose zukunft eines gleichschrittes durch individuelle freiheiten zu stören, ist nur einem störenfried zuzutrauen, der in seine schranken verwiesen werden muß, weil anne es in ihrer funktion will.

    respektieren sie bitte die schranken, die nur zu ihrer eigenen sicherheit und zum wohle aller in den mittelpunkt unserer gedanken gerückt werden müssen, weil sie nicht in der lage sein können, die zusammenhänge zu sehen und die ihnen auch erspart werden sollen – aus selbst von ihnen demokratisch gewählter und damit legitimierter verantwortung heraus, die über die ör medien dann auch zuverlässig an sie weiter- bzw. zurück gegeben werden.

    individuelle freiheiten gehören nur in die eliten – denn
    „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem, dass wir stärker wieder mit denen das Gespräch suchen.“
    http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Interviews/2016/160619-Bericht-aus-Berlin-Interview.html

    und dies geht am allerbesten, wenn sich alle teile der bevölkerung an die von den eliten vorgegebenen texte halten und darin nicht ständig probleme sehen. genau davor zu warnen ist die elitäre deutungsfreiheit und nicht die zweifelhaften, nonkonformen und fragwürdigen problematisierungen dürfen diese „freiheit“ in gefahr bringen.

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  3. Illoinen

    Der Westen sieht den Splitter im Auge des Anderen, den Balken im eigenen Auge nicht. Wie kann es sein, dass die Völkerrechtswidrigen Kriege des Westens, dass Millionenfache töten auf Grund von Lügen, im Westen kein Thema sind? Aber einer wer an dieser menschenverachtenden Politik des Westens Kritik übt, im Mainstream Media diffamiert wird? Alle illegalen Kriege, auch der Angriff jetzt auf Syrien, wäre auch mit belastbaren Beweisen Völkerrechtswidrig, und die Verantwortlichen müssten sich alle als Kriegsverbrecher in Den Haag verantworten? Der Westen spielt sich nach wie vor als „Herrenmenschen“ auf, und treten das Völkerrecht mit Füßen. Der Westen stürzt den Rest der Welt ins Chaos, aber an den Pranger stehen Kritiker wie Lüders, Ganser mit seinem Buch „illegale Kriege“ oder Jean Ziegler mit seinem Buch: „Der Westen ein Imperium der Schande“ auch die Nachdenkseiten und andere? Wie kann das sein?

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