9. Juni 2017 — James Comey, der von US-Präsident Trump jüngst als FBI-Chef entlassen wurde, hat in dieser Woche vor dem Kongress ausgesagt und sich zum immer wieder erhobenen Vorwurf geäußert, Russland habe die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr manipuliert. Interessant dabei war die Art der Fragestellung. Der Ausschussvorsitzende wollte von Comey wissen, ob er „irgendwelche Zweifel“ daran habe, dass die russische Regierung versucht habe, in die Wahlen einzugreifen – was Comey mit einem knappen „nein“ beantwortete.
Gefragt worden war also nicht nach konkreten und überprüfbaren Beweisen für diese Behauptung, sondern nach einer persönlichen Überzeugung. Dieser Unterschied ist von großer Bedeutung. „Können Sie es beweisen?“ ist etwas fundamental anderes als „Sind Sie davon überzeugt?“ Auf diesem Unterschied basiert letztlich jedes moderne Rechtssystem.
Doch Überzeugungen haben gerade Konjunktur, Beweise weniger. Die New York Times hat Anfang des Jahres einen knappen und eingängigen Werbespot veröffentlicht, der sich um „die Wahrheit“ dreht. Der Spot ist mit über 15 Millionen Klicks das beliebteste Video auf dem Youtube-Kanal der Zeitung. Er kulminiert in der Satzfolge: „Die Wahrheit ist schwer. Die Wahrheit ist schwer zu finden. Die Wahrheit ist jetzt wichtiger als jemals zuvor.“
Man darf das als Anspielung auf die berühmten „Fake News“ verstehen, sowie auf den Kampf um Deutungshoheit zwischen den Leitmedien und Präsident Trump. Beide Seiten bezichtigen sich bekanntlich gegenseitig unablässig der Lüge.
Nun ist es für sich genommen schon ein bemerkenswerter Umstand, dass die sich in einem öffentlichen Streit bekämpfenden Gegner nicht etwa zwei politische Parteien sind oder zwei konkurrierende Politiker, sondern eben der gewählte Präsident und, ihm mehr oder weniger als einheitlicher Block gegenüberstehend, die Leitmedien. Im Grunde stellen die Journalisten damit ihre Rolle als „Medien“, also „Vermittler“ oder „dazwischen Stehende“ grundlegend in Frage. Sie stehen eben nicht länger erklärend dazwischen, sondern sind ganz offen politische Akteure.
Die Annahme, die Welt bestehe nur aus Wahrheit und Lüge, erscheint ähnlich seltsam. Natürlich existieren in vielen Fragen grundlegende Fakten, bei denen es tatsächlich nur ein „wahr“ oder „falsch“ gibt. Dennoch ist klar, dass ein Großteil von Politik und Nachrichten aus Deutungen besteht, deren Wahrheit oft lange Zeit strittig bleibt. Je nachdem, welche Hälfte der zugehörigen Fakten man als „unwichtig“ unter den Tisch fallen lässt, gelangt man ja zu ganz unterschiedlichen Erklärungen. Die verschiedenen Interpretationen sind letztlich oft Ausdruck unterschiedlicher Interessen. Als Journalist wie als Mediennutzer kann man sie abwägen, ihre Hintergründe beleuchten und so zu einem Urteil gelangen.
Das verengte Fokussieren auf „die Wahrheit“ ignoriert diese Komplexität. Dass hinter den sich widersprechenden Deutungen oft widerstreitende Interessen stehen, die um Einfluss ringen, wird ausgeblendet. Stattdessen gibt es nur noch „Lügner“ und „Wahrheitsverkünder“. Im Grunde handelt es sich um eine Reduzierung der Realität um eine Dimensionsebene. Die Welt wird wieder flach.
Die Leitmedien selbst erklären sich in diesem übersichtlichen Spiel nun, wenig überraschend, zu den Wahrheitsverkündern. Der Präsident ist der Lügner. Da sie nahezu geschlossen Front machen, erscheint dieser Anspruch allerdings seltsam. Man kann schlecht zugleich Kämpfer und Schiedsrichter sein. New York Times und Co. haben sich in eine Rolle begeben, in der sie paradoxerweise ihre eigene Glaubwürdigkeit zwingend untergraben. Ein Kämpfer, der auch Schiedsrichter sein will, macht sich lächerlich. Eine Spirale von Wut, Eskalation, Verhärtung und Verteufelung ist in Gang gekommen, deren logisches Ziel (die Absetzung des gewählten Präsidenten) selbst im Widerspruch zu eben der Demokratie steht, welche die Medien zu verteidigen meinen.
Vor allem aber: Das Ersetzen von Deutungen durch Wahrheiten, von Beweisen durch Überzeugungen, ist ein kultureller Rückschritt, der es schwerer macht, künftig noch sinnvoll miteinander zu kommunizieren. Über „Wahrheiten“ lässt sich nicht debattieren – dafür um so besser Krieg führen. Dass gerade Journalisten, also „Spracharbeiter“, diesen Rückschritt auch noch vorantreiben und eine Welt komplexer Interessen und Interpretationen zu einem hitzig-fundamentalistischen Kampf von „wahr“ gegen „falsch“ verflachen, kann man nur als tragisch bezeichnen.
Ich kann der Analyse nur bedauernd zustimmen.
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