Der Weltgeist und die Intelligenz der Blumen

Blumen

18. Mai 2018   —   Wer sich intensiv mit Politik, Intrigen, Propaganda und Täuschung befasst, der läuft Gefahr, die Welt für einen feindlichen Ort zu halten. Ein Buch von 1907, das gerade neu aufgelegt wurde, lehrt das Gegenteil.

Das schmale Bändchen mit dem Titel „Die Intelligenz der Blumen“ könnte man bei einem oberflächlichen Blick als naive Naturschwärmerei abtun – und brächte sich damit um das Vergnügen der Lektüre. Der Verfasser Maurice Maeterlinck (1862-1949), ein ebenso feinsinniger wie klar denkender belgischer Dramatiker, war um 1900 einer der einflussreichsten Autoren Europas und erhielt 1911 den Literaturnobelpreis.

Maeterlinck tat sich abseits seiner international gefeierten Bühnenstücke als neugieriger und präziser Naturbeobachter hervor. Sein Buch über die Blumen enthält vor allem naturwissenschaftlich korrekte und sehr konkrete Beschreibungen der erstaunlichen Mittel, Methoden und Überlebensstrategien in der Pflanzenwelt, dargestellt allerdings in einer so sensiblen und poetischen Sprache, dass der (erhebliche) Erkenntnisgewinn sich mit Lesefreude verbindet.

Anliegen des Autors ist es, den oft überheblichen Blick auf die Natur sanft zu irritieren. Zugleich ist das kaum 100-seitige „Blumenbuch“ ein philosophischer Essay, der in seinem Gehalt zeitlos modern bleibt. Einige Zitate aus dem Text mögen das verdeutlichen:

„Die Pflanzenwelt, die uns so friedlich, so resigniert dünkt, in der alles Ergebung, Schweigen, Gehorsam, Sammlung scheint, ist im Gegenteil eine Welt, in der die Auflehnung gegen das Schicksal am heftigsten und hartnäckigsten ist. (…) Die Pflanze ist ganz auf ein einziges Ziel eingestellt: dem Schicksal ihrer Wurzel durch ihre Blüte zu entrinnen, das drückende und düstere Gesetz zu übertreten und seiner zu spotten, sich freizumachen und die enge Sphäre zu zerbrechen, sich Flügel zu erfinden oder sie anzulocken, so weit wie möglich zu entkommen, den Raum zu besiegen, worin das Schicksal sie gefangen hält, sich einem andern Naturreich zu nähern, in eine lebende und bewegte Welt einzudringen … Und dass ihr das gelingt, ist das nicht ebenso erstaunlich, als ob wir uns zusammentäten, um außerhalb der Zeitschranken zu leben, die ein anderes Geschick uns gezogen hat, oder uns in eine Welt aufzuschwingen, die von den lastendsten Gesetzen der Materie befreit ist?“ (S. 6)

„In einer Welt, die wir für unbewusst und aller Intelligenz bar halten, wähnen wir zuerst, dass unsere geringsten Ideen neue Kombinationen und Beziehungen schaffen. Sieht man näher zu, so ist es höchst wahrscheinlich, dass wir überhaupt nichts schaffen können. Als Spätgeborene dieser Erde finden wir einfach wieder, was stets bestanden hat, und legen wie verwunderte Kinder den Weg, den das Leben schon vor uns gemacht hatte, noch einmal zurück.“ (S. 21)

„Auch hier sehen wir wieder einmal, dass aller Genius in der Art, im Leben oder in der Natur liegt und dass das Individuum nahezu stumpfsinnig ist. Nur beim Menschen herrscht ein wirklicher Wetteifer zwischen den beiden Intelligenzen, ein immer deutlicheres und tatkräftigeres Streben nach einer Art von Gleichgewicht, welches das große Geheimnis unserer Zukunft ist.“ (S. 25)

„Stets von unserem menschlichen Gesichtspunkt ausgehend und um in der notwendigen Illusion zu verharren, wollen wir zu der ersten Bemerkung noch eine zweite fügen, die etwas umfassender, etwas weniger gewagt und vielleicht folgenschwer ist: dass der Genius der Erde, der wahrscheinlich der des Weltalls ist, im Lebenskampfe genau ebenso verfährt, wie ein Mensch handeln würde. Er benutzt die gleichen Methoden, die gleiche Logik. Er kommt mit den gleichen Mitteln zum Ziel, die auch wir anwenden würden. Er tastet, zaudert, kommt auf Altes zurück, fügt hinzu, merzt aus, erkennt und berichtigt seine Irrtümer, wie wir es an seiner statt tun würden. Er nimmt alle Kraft zusammen, erfindet mühsam und Schritt für Schritt, ganz wie die Arbeiter und Ingenieure unserer Werkstätten. Er kämpft gleich uns gegen die schwere, riesige und dunkle Masse seines Wesens. Er weiß ebenso wenig wie wir, wohin er geht; er sucht sich und entdeckt sich nach und nach. (…) Heißt das nicht, dass die Methoden des Menschengeistes die einzig möglichen sind, dass der Mensch sich nicht getäuscht hat, dass er weder eine Ausnahme noch ein Ungeheuer ist, sondern das Wesen, durch das die großen Willensstrebungen und Wünsche der Welt am intensivsten hindurchgehen und sich am intensivsten kundgeben?“ (S. 78)

„Es ist viel tröstlicher, festzustellen, dass wir den gleichen Weg gehen wie die Weltseele, ja, dass wir die gleichen Gedanken, Hoffnungen, Prüfungen und fast den gleichen Charakter hätten, wenn wir nicht unsern besondren Traum von Gerechtigkeit und Mitleid besäßen (…) dass wir in der Wahrheit sind und auf unserem rechten Platze, dass wir zu Hause sind in dieser Welt, die aus unbekannten Stoffen geknetet ist, deren Denken jedoch nicht undurchdringlich noch uns feindlich ist, sondern dem unsren analog oder entsprechend. (…) Wir verkehren nicht mehr mit unerreichbaren Göttern, sondern mit einem zwar verhüllten, aber brüderlichen Willen, den es zu belauschen und zu leiten gilt.“ (S. 81)

„Und wenn wir eine solche Summe von Intelligenz ins Leben des Weltalls ausgegossen sehen, ist es da nicht wahrscheinlich, dass dieses Leben für die Intelligenz wirkt, das heißt, dass es zum Ziel das Glück, die Vervollkommnung und den Sieg über das hat, was wir das Böse, den Tod, die Finsternis, das Nichts nennen und was wahrscheinlich nichts ist als der Schatten seines eigenen Angesichts oder sein Schlummer?“ (S. 83)

Dieser letzte Gedanke Maeterlincks bietet eine interessante Perspektive: Wo das Böse, das Niederträchtige im „Schatten“, im „Schlummer“ des Lebens liegt, da helfen vielleicht ganz einfach Licht, aufmerksame Aktivität und Lebendigkeit. Und an dieser Stelle wird es dann auch wieder politisch.

Maurice Maeterlinck, „Die Intelligenz der Blumen“, Westend Verlag 2018, 96 Seiten, Hardcover mit zahlreichen farbigen Abbildungen, 14 Euro

Bild: Philipp Rein / CC BY-NC 2.0

Ein Gedanke zu „Der Weltgeist und die Intelligenz der Blumen

  1. marie

    vielen lieben dank für ihre gedankenwege – ich sag mal „abseits der autobahnen“ = wege die wirklich noch entdeckungen zulassen und voller wunder und geheimnisse stecken … also aus meiner sicht auch „radikale“ gedanken befördern (im sinne von an der wurzel beginnend).

    ich will jetzt dies nicht weiter vertiefen – das haben sie ja bestens durch die erinnerung an maeterlinck getan – sondern darauf hinweisen, dass diesen weg VIELE (viel zu wenig) aus ganz unterschiedlichen „ursprungswurzeln“ gehen (vielleicht erscheint ihnen dies etwas konstruiert? – für mich ist es der gemeinsame suchende weg vieler zur harmonie der möglichen schönheit und eines tiefern sinns des verständnisses des LEBENS, welches in die entfaltungsmöglichkeiten in freiheit, schönheit und sinnhaftigkeit – ja einer angelegten zweckfreiheit, welche sich moralischer normen (gut/böse) entzieht – also ihres mißbrauches durch lebensFEINDLICHE mächte, die in der dunkelheit die erkenntnis und aufklärung verhindern und vor allem ANGST und unterwürfigkeit aus dummheit und angst als „leben“ (des bösen, feigen, entwürdigenden, destruktiven) einer „höheren“ religion, ideologie oder sonstwie propagierten „sache“ einfach lügnerisch erfinden und nur aus reiner ZWECKORIENTUNG ihrer kleinen egoistischen machtfantasien erzählen, erzählen, erzählen und voller gewaltausübung in den unterschiedlichsten formen erreichen wollen (auf „autobahnen“, die sie als alternativlos für „fortschritt“ durch die natur betonieren … bis in die „natur“ der menschlichen psyche und physis)

    dazu ein artikel aus der zukünftigen wissenschaft der quantenphysik:

    Frido und Christine Mann: „Die Quantenphysik lässt den Schluss zu … “ „ … dass schon das Denken die Realität verändert“

    Die beiden haben ein geradezu ungeheuerlich optimistisches Buch geschrieben: Frido Mann, 76 Jahre alt, und Christine Mann, geborene Heisenberg, 72 Jahre alt. Er entstammt der Familie des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann.
    Sie entstammt der Familie des Physiknobelpreisträgers Werner Heisenberg, sie war seine zweitjüngste Tochter. Viel mehr Bedeutung im deutschen Stammbaum geht nicht. Das Buch heißt „Es werde Licht“, und es will die Quantenphysik, mitbegründet von Vater Heisenberg, ins Zentrum einer neuen Gesellschaftsphilosophie rücken.

    https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/03/frido-mann-christine-mann-quantentheorie-philosophen-familie-werner-heisenberg

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