Fall Babtschenko: Journalismus trifft Behördengläubigkeit

Pressewand Bundeskanzleramt

31. Mai 2018   —   Die „Wiederauferstehung“ des Journalisten Arkadi Babtschenko in der Ukraine hat viele Kollegen im Mainstream kalt erwischt – und offenbart ein Grundproblem: Medien halten die Stellungnahmen staatlicher Behörden des eigenen Landes und befreundeter Länder in der Regel für hinreichend seriös, um sie ungeprüft zu verbreiten.

Es sollte eigentlich kein großes Geheimnis sein: Regierungen und ihre Behörden lügen die Öffentlichkeit gelegentlich an, vor allem dann, wenn es um die Durchsetzung einer Politik geht, die hoch umstritten und demokratisch schwach oder gar nicht legitimiert ist – aber auch sonst, wenn es irgendwie in den eigenen Kram passt oder notwendig erscheint. Diese Banalität entdeckt ein maßgeblicher Teil des etablierten Journalismus allerdings gerade ganz neu. So meint der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, zum Fall Babtschenko:

„Es ist gefährlich, in einer Welt zu leben, wo die Behörden, wo die Politik die Bürger und die Öffentlichkeit dreist belügen.“

Ja schau an, möchte man da ironisch anmerken, wer hätte es gedacht? Diese verrückte Welt ist doch tatsächlich ein gefährlicher Ort. Da wird man gelegentlich angelogen, gerne auch mal organisiert und von ganz oben! Den DJV, wohlgemerkt ein Verband professioneller Journalisten, scheint das ernsthaft zu überraschen.

Auf Twitter war der mediale Hühnerhaufen gestern im Zustand größter Aufregung zu beobachten. Wenige Stunden, bevor der Babtschenko-Fake aufflog, echauffierte sich Julian Hans, Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, in gewohnter Weise:

„Mir wird jetzt schon wieder übel, wenn ich daran denke, dass wir in den nächsten Wochen wieder zig Versionen zu hören bekommen, warum dieser Mord allen genutzt hat – Kiew, ukrainischen Nationalisten, den Briten, den Amis – nur das Naheliegende kann’s nicht gewesen sein.“

Ja genau: Das Naheliegende ist eben oft gerade NICHT die Wahrheit! Warum sollte es auch, in einer Welt voller Intrigen und doppelbödigen Machtkämpfe? Und darüber, ganz im Ernst, staunt ein Journalist? Wie bitte?

Udo Lielischkies, Leiter des ARD-Studios Moskau, setzte sich ebenfalls, so wie viele seiner Kollegen, wenige Stunden vor Auffliegen des Fakes mitten ins Fettnäpfchen. Er verbreitete auf Twitter einen Artikel, in dem es hieß, Russland streue bereits eine „alternative reality version“ des Mordes an Babtschenko.

Die Russen also mal wieder! Man kennt es ja schon. Stets stellen sie mit ihrer bösartigen Propaganda die nüchterne faktische Realität in Frage. Und das, wo doch die unstrittige Wahrheit bereits von den ukrainischen Behörden für alle laut und deutlich verkündet worden ist. Wie ließe sich daran also noch zweifeln?

Offenbar gar nicht. Der ZDF-Moderator Daniel Bröckerhoff, dem der Glauben an offizielle Stellungnahmen anscheinend auch jetzt noch nicht so leicht zu nehmen ist, gab nach der Enttarnung des Fakes zu bedenken:

„Weil viele fragen, wie glaubhaft die Todesmeldung von Babschenko war: Es gab offizielle Mitteilung der Behörden, Kamera-Statements des Polizeisprechers, Bestätigung durch den Arbeitgeber, Präsidenten & Ministerpräsidenten und eine trauernde Frau. Ergo: Sehr glaubhaft inszeniert.“

Ja, natürlich, keine Frage: Das war glaubhaft inszeniert. Und nun? Sind die Kollegen deshalb ihre Verantwortung, Fakten zu prüfen, wieder los? Der Skripal-Fall war deutlich weniger glaubhaft (inszeniert?) und die Geschichte von den Massenvernichtungswaffen im Irak auch nicht besonders schlüssig erzählt, ebenso wie das unangefochtene Jahrhundert-Event 9/11, das vor Widersprüchen (pardon, „Verschwörungstheorien“) nur so strotzt.

Dennoch haben die Mainstream-Medien dies alles in großen Teilen und ohne ein Übermaß an kritischen Fragen geschluckt. Es muss also offenbar gar nicht mal „glaubhaft inszeniert“ sein. Reicht nicht vielleicht einfach schon der Absender „Regierung“ und das Themenfeld „internationale Politik“, um das eigene kritische Hinterfragen von vornherein als unbotmäßig zu erkennen? Geht es vielleicht auch um autoritäre Strukturen in der Gesellschaft und in den Medien?

Der ARD-Faktenfinder sorgte sich angesichts des Fakes interessanterweise um das Ansehen der eigenen Staatsführung. In einem Bericht zur Affäre wird die Aktion des ukrainischen Geheimdienstes kritisiert und gefragt:

„Wie stehen jene Politiker wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier da, die Trauer gezeigt und Aufklärung gefordert hatten?“

Ja, wie stehen sie nun da? Wie naive Trottel, könnte man sagen. Aber warum ist das Image der Regierung und der staatlichen Repräsentanten eigentlich eine vordringliche Sorge der ARD?

Das Problem sitzt offenbar tief. Sehr tief. Es rührt auch an das eigene Verständnis vom Staat, das (Nicht-)Wissen über Strukturen des Tiefenstaats – sowie, nicht zuletzt, das Selbstbild der Medien. Denn ein Journalismus, der die „Feinde“ der heimischen Regierung häufiger und schärfer kritisiert als die eigenen Autoritäten, der ist, zumindest aus demokratischer Sicht, weitgehend verzichtbar.

(Foto: Pressewand Bundeskanzleramt, CC BY-SA 3.0)

5 Gedanken zu „Fall Babtschenko: Journalismus trifft Behördengläubigkeit

  1. altermann

    Nicht zu vergessen unser minderperformender Außenminister: http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Maas-verurteilt-Journalistenmord-in-Kiew Auch der musste verbal ablaichen. Aber den Vogel schoss der Deutsche Journalistenverband ab: ◾Prominenter regierungskritischer Journalist #ArkadiBabtschenko in Kiew erschossen – spätestens jetzt sollen die EU-Staaten ernsthaft über einen Boykott der #WM2018 nachdenken — Journalisten-Verband (@DJVde) 30. Mai 2018Q

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    1. wernerhh

      @ altermann, hier treffen Sie die Clique genau.

      @ Herr Paul Schreyer, in ihrem Artikel, letzter Abschnitt, haben Sie den Kern allen Übels beschrieben. MfG

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  2. siempre

    Auch wenn es nicht so passt: Gelegentlich oder fast immer fühle ich oder nehme es so wahr, kommen mir Journalisten bei den Pressekonferenzen wie kleine Kinder vor, die sich trauen, kritische Fragen an die Herrschenden zu stellen. Also wie in der Oberschule, wo man den/der Lehrer/in Fragen stellen darf. Allerdings sind das kritische Erwachsene, bei denen man das Gefühl hat, die haben das Gymnasium hinter sich und endlich einen Job ergattert bei ihrem Verlag oder Medium. Allerdings sehen diese Milchgesichter genauso aus. Die freuen sich wie kleine Kinder, überhaupt mal eine Frage stellen zu dürfen.

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    1. wernerhh

      @ sempre, Sie sehen es ganz richtig, das Gefühl habe auch ich immer, bei irgendeiner Fragestellung der Hyänen.
      Sie leiden alle an der Russophobie-Krankheit. Diese ganze Medien-Meute muss dem Arzt zugeführt werden. Ich sehe sonst keine Besserung. MfG

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  3. marie

    „Jetzt bringen die Russen schon jemanden NICHT um, den er so gern von den Fieslingen umgebracht gesehen haben will. Daran ist Putin auch noch schuld!“

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