Replik auf die Antwort von Georg Restle

Putin Merkel

14. Mai 2018   —  Sehr geehrter Herr Restle, es freut mich, dass Sie mir auf meinen offenen Brief geantwortet haben. Vorab: Ich schätze Ihren Einsatz für Bürgerrechte, wie etwa ihre – aus meiner Sicht couragierte – Einschätzung, dass angesichts des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes grundgesetzliche Rechte nun vor allem gegen die eigene Regierung verteidigt werden müssten. Sie schreiben in diesem Zusammenhang sehr nachdrücklich von einem „Aufstand für die Freiheit“.

Allein das sagt ja eigentlich schon viel aus über den Zustand der Demokratie hierzulande. Eine Studie im Auftrag der Bundesregierung spricht mittlerweile von einer „Krise der Repräsentation“. Gerade angesichts dieser Krise – die den Westen insgesamt umfasst –, ist aus meiner Sicht Zurückhaltung bei der Belehrung ausländischer Regierungen geboten.

Dies um so mehr, wenn der mit erhobenem Zeigefinger ermahnte Staatschef, wie etwa im Falle Russlands, eine große Mehrheit der eigenen Bevölkerung hinter sich hat und diese daher tatsächlich auch repräsentiert. Insofern, so meine ich, läuft auch ihr Bestreben ins Leere, „zwischen dem Land, seiner Bevölkerung und seinen Regierenden unterscheiden“ zu wollen, wie Sie schreiben. Angesichts von Putins großem Rückhalt in der russischen Bevölkerung, insbesondere bei außenpolitischen Fragen, lässt sich der russische Präsident schwerlich von den Russen trennen. Wenn Sie jetzt, unmittelbar nach Putins Wiederwahl bekennen, ihm „nicht zu vertrauen“, dann ist das letztlich nicht weniger als ein Affront gegenüber der russischen Bevölkerung.

Im Kern stützen Sie Ihre Putin-Kritik auf den Anschluss der Krim 2014 an russisches Staatsgebiet, die Sie, der offiziellen Sprachregelung folgend, als „völkerrechtswidrige Annexion“ bezeichnen – ohne dabei freilich zu erwähnen, dass eben diese Einschätzung unter Völkerrechtlern, vorsichtig ausgedrückt, umstritten ist. Tatsächlich war der Anschluss der Krim an Russland zwar ein Bruch der ukrainischen Verfassung aber eben, schon aus der reinen Logik des Völkerrechts heraus, kein Bruch des Völkerrechts. Der renommierte Jura-Professor Reinhard Merkel, Sie werden seine Analyse kennen, brachte es so auf den Punkt:

„Man mag ja die ganze Transaktion aus Rechtsgründen für nichtig halten. Das macht sie dennoch nicht zur Annexion, zur räuberischen Landnahme mittels Gewalt, einem völkerrechtlichen Titel zum Krieg.“

Meine Frage an Sie: Sind diese Überlegungen von Prof. Merkel für Sie ebenjene „hanebüchenen Argumente“, von denen Sie in Ihrem Schreiben sprechen?

Weiter sagen Sie: „Es geht hier nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um die Regeln des Völkerrechts und die weltweite Geltung der elementaren Menschenrechte. (…) man sollte die Politik Moskaus genauso kritisch unter die Lupe nehmen, wie wir es mit der Agenda Washingtons machen.“

Beim Wort „genauso“ möchte ich Einspruch erheben. Sind die Völkerrechtsbrüche des Westens, insbesondere der USA (Zerstörung Jugoslawiens, Afghanistans, des Irak, Libyens, anteilig Syriens, das System Guantánamo, Drohnenmorde in aller Welt etc.) wirklich „genauso“ schlimm wie die Ergebnisse russischer Außenpolitik in den letzten 20 Jahren? Oder wäre eine solche Gleichsetzung nicht vielleicht doch eine groteske, um nicht zu sagen wahnwitzige Verzerrung der Realität?

Wie aber verhält es sich angesichts dessen nun mit der Kritik der Leitmedien an der Politik des Westens und an der Politk Russlands? Werden beide „gleichermaßen“ verurteilt, wie Sie es anmahnen? Oder ist nicht vielmehr eine extreme Schlagseite zu Lasten Russlands (!) zu beobachten – in die sich nun auch Ihr Kommentar einfügt?

Nochmals: Viele Menschen in Deutschland sehen, dass auch in Russland bei weitem nicht alles gut ist. Sie erkennen aber ebenso eine wachsende internationale Eskalation und Kriegsgefahr, deren Antreiber allem Anschein nach vor allem im Westen sitzen. In dieser Gemengelage nun vergeht kein Tag, an dem die Deutschen durch die Leitmedien nicht immer wieder neu auf das Feindbild Putin eingeschworen werden.

Angesichts dessen – also der Gefahr eines großen Krieges in Europa – ist für viele Menschen die mangelhafte Lage der Bürgerrechte in Russland tatsächlich nachrangig, auch wenn dieses Wort Sie empören mag. Sie schreiben, für Sie persönlich seien demokratische Defizite „nie nachrangig“. Gut, das ist ein ehrenwerter idealistischer Standpunkt. Praktische Politik funktioniert so aber natürlich nicht, das wissen Sie genauso gut wie ich. In der Politik müssen Prioritäten gesetzt werden. Und die oberste – so sieht es offenbar die Mehrheit der Deutschen, mich eingeschlossen – sollte eine Wahrung des Friedens sein.

Seit dem vom Westen massiv vorangetriebenen Regimewechsel in Kiew im Februar 2014 stehen die Zeichen allerdings wieder auf Krieg in Europa. Wer aber, so muss man fragen, möchte eigentlich diesen großen blutigen Zusammenstoß? Putin? Dies möchte ich zu bedenken geben – und danke nochmals für Ihre Bereitschaft zum Dialog.

Ergänzung 15. Mai: Herr Restle hat meine Replik inzwischen hier beantwortet.

(Foto: Putin und Merkel beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg, Quelle: Kreml)

5 Gedanken zu „Replik auf die Antwort von Georg Restle

  1. funkybunky

    Grandios! Klar, vernünftig und die Sache durchdringend argumentiert. Und gleichzeitig eine freundliche und respektierende Haltung wahrend.

    Vielen Dank für Ihren Einsatz, Herr Schreyer.

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  2. marie

    dank an georg restle für seine antwort auf den beitrag von ihnen – d.h. für seine geste zum dialog, denn dieser dank für ÜBERHAUPT schon eine antwort zeigt ja schon den zustand in unserer gesellschaft, in dem sture ignoranz bzw. skandalisierung leider den „erwünschten dialog“ als hohles leeres wort in der praxis meist mit einer ohrfeige beantworten.

    georg restle hat meiner meinung nach die „aufgabe“, genau an dieser schnittstelle seine spagat-künste zu zeigen … zumindest ist es für einen medienbeobachter ganz einfach, die verteilten rollen – zum eigenen verständnis – einzuordnen und zu analysieren, wenn man das psychologische gefüge eines systems ins auge faßt. hat man dieses psychologische werkzeug nicht in seinem wissenskasten, bleibt ein tief irritierendes gefühl zurück – und ich gehe davon aus, dass herr restle sich dessen bewußt ist. (eine textanalyse seiner antwort erspare ich mir, weil dies den rahmen sprengen würde bzw. jeder für sich selbst die darin enthaltenen widersprüche erkennen kann und weiß, dass zur vertrauensbildung genau an diesen stellen, das nachdenken und nachfragen einsetzen muß, denn HALBWAHRHEITEN sind die gefährlichsten und giftigsten lügen!)

    sollte sich mein vertrauen in restle und die ör-medien wieder aufbauen können, dann nur über genau diese dialoge, die sie, paul schreyer, hier versuchen – und die öffentlichkeit versuchen einzubeziehen. dieser dienst für eine bessere gesellschaft ist nicht hoch genug zu bewerten, danke dafür!

    wenn herr restle pussy-riot&co. für das wahre, demokratische rußland hält, hat er sich bei seinen aufenthalten dort wohl nicht in der breiten bevölkerung bewegt, sonst würde er auf solchen quatsch gar nicht kommen können, den er als „sachliche“ information über land und leute weitergibt, denn die mehrheit der menschen dort – fast jede familie liebt und unterstützt putin und seine politik, weil er ihre hauptinteressen in diesem globalen kämpfen kennt – und dies ist FRIEDEN+lebensfreude und nicht ewiger profit und provokation in allen lebensbereichen … dafür mußten sie genug opfer bringen um andere = ihre werte zu verteidigen und erhalten und es sind genau die, die dem westen verloren gegangen sind und sie und alle ihre unterstützer erhalten wollen, weil sie zutiefst menschliche sind und das VÖLKERRECHT wörtlich nehmen >>> was ich allen menschen wünsche … ganz ernsthaft zum menschlich sein und werden/bleiben

    herr restle, kümmern sie sich um die probleme der menschen im eigenen land – uni-sex-toiletten sind es bestimmt nicht – das polizeigesetz, der verlauf des nsu-prozeß, die auswirkungen der hartz4-gesetze, die geldverschleuderung am BER, waffenlieferungen… es gibt unendlich viele anlässe UNSERE regierung nach ihrer verantwortung zu fragen … oder glauben sie, die russen übernehmen das für sie???

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  3. Joachim Groß

    Vergessen, wie es seinerzeit explizit in den Verträgen von Helsinki betont wurde: Das Nichteinmischen in die inneren Angelegenheiten eines Staates! Voraussetzung für ein friedliches Miteinander. Stattdessen Export eines politischen Modells, das sich „westliche Demokratie“ nennt. Nicht mit Diplomatie und Überzeugung, sondern mit bezahlten NGO’s , das letztendlich wieder (wie unter Jelzin) den Ausverkauf Russlands bedeutet. Demokratie ist kein Exportartikel. Demokratie erkämpfen sich die Menschen..

    Während bei uns demokratische Rechte abgebaut werden (angebliche Sicherheit vor Demokratie), und sich Bayern als „Musterländle“ empfiehlt mit Polizeiaufgabengesetz und Kriminalisierung der psychisch Erkrankten, verteidigt Herr Restle ein Modell, das immer weniger als Vorbild taugt.

    Ich kann es nicht glauben, dass ein erfahrener Journalist nicht erkennt, wie er sich zum Spediteur von Nachrichteninhalten macht, die tatsächlich völlig andere Intentionen transportieren. Der Zoll nennt so etwas wahrscheinlich Schmuggeln.

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  4. Pingback: „Annexion der Krim“: Prof. Merkel widerspricht Georg Restle | Paul Schreyer

  5. Joachim Bode

    Ist es nicht bemerkenswert, wie bei der Krim-Frage zumeist bzw. ständig um die unmittelbar vorangegangenen Ereignisse um den von den USA mitveranlassten und mit riesigen Dollarsummen finanzierten Putsch in Kiew herumgeschifft wird, ganz zu schweigen von dem Kosovo, wo nicht mal die Bevölkerung gefragt wurde?
    Völlig aus dem Sichtfeld sind die zahllosen (tatsächlichen) Annexionen durch die USA geraten: Zum Thema Hawaii-Annexion gibt sogar Wikipedia ausführlich Auskunft, selbst Obama zeigte sich bei diesem Thema zweifelnd. Und ganz klar auf der Hand liegen auch die Verhältnisse bei vielen Südstaaten der USA.

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