Die Querfront-Hysterie

21. Dezember 2017   —   Rechtsextreme vereint mit Verschwörungstheoretikern bedrohen die Demokratie, Ken Jebsen ist ihr Wortführer und immer mehr Linke schließen sich ihnen an – so heißt es aktuell in vielen Medien. Eine Gegenrede

Der Mainstream und seine Sprachregelungen

Wundern sollte das nicht. Wer einmal Teil des Mainstreams, der „Mitte“, geworden ist, der sieht sich fortan von bedrohlichen Feinden umringt und verteidigt sein „Lager“. Die Schwerkraft der Masse, zu der man nun gehört, bindet die Meinungen, zähflüssige Konsenssprache verklebt das Denken. Im Mainstream orientiert man sich an Sprachregelungen und Parteilinien, die andere, Höherstehende erdacht haben. Das entlastet, mindert aber die eigene Urteilskraft. Sicher fühlt man sich dann bloß noch in der Gruppe, bei den Sichtweisen, die „alle anderen“ auch vertreten. Im Mainstream regiert der Konformismus und feiert sich als Stimme der Vernunft – auch im linken Teil des Mainstreams.

Die populäre These einer Querfront ist im Grunde selbst eine Verschwörungstheorie: „Die anderen haben sich alle miteinander abgesprochen und wollen gemeinsam die Demokratie stürzen. Compact-Magazin, KenFM, Montagsmahnwachen, 9/11-Skeptiker, Kopp-Verlag – alles das Gleiche, rechte Spinner und Verschwörungstheoretiker. Wehret den Anfängen, denkt an die Nazizeit!“ Oder so ähnlich. Im Kern beruht die Querfront-These dabei auf mehreren Grundannahmen:

  • Verschwörungstheorien sind grundsätzlich Unsinn.
  • Wer Verschwörungstheorien vertritt, der ist unseriös.
  • Wer Ansichten äußert, die Rechte äußern, ist selbst auch rechts.
  • Die Nazis kamen mit Hilfe einer Querfront an die Macht.

Wenn Journalisten von „Querfront“ schreiben, dann stimmen sie oft, ob nun bewusst oder unbewusst, diesen Prämissen zu. Die Annahmen gelten sozusagen als bekanntes, sicheres Wissen, was nicht weiter hinterfragt zu werden braucht. Genau das erweist sich bei näherer Betrachtung allerdings als Fehlschluss.

Verschwörungstheorien sind nicht in jedem Fall Unsinn. Es gibt bewiesene Verschwörungen, die entsprechenden Theorien heißen dann „Fakten“, widerlegte Verschwörungstheorien sowie Ereignisse, die bislang ungeklärt sind und bei denen mehrere Deutungen miteinander konkurrieren. Wer pauschal behauptet, dass alle Verschwörungstheorien paranoider Unfug seien, der bewegt sich auf einem voraufklärerischen Niveau nach dem Motto „die Kirche/die Partei/die Autoritäten haben immer recht“. Für Linke ist eine solche Denkweise (oder besser gesagt: Denkverweigerung) einigermaßen peinlich, tatsächlich aber weit verbreitet.

Ob jemand, der Verschwörungstheorien vertritt, unseriös ist oder nicht, hängt konkret von den jeweils vertretenen Theorien ab. Diese gilt es zu diskutieren. Wer aber zum Beispiel über 9/11 gar nicht erst reden will, der sollte über Herrschaftskritik dann besser auch schweigen.

Die historische Querfront in der Nazizeit

Die Annahme, dass die Nazis in den 1930er Jahren mit Hilfe einer Querfront an die Macht gekommen seien, ist ähnlich substanzlos. Die Pläne für eine Querfront-Koalition, 1932 vorangetrieben von General Kurt von Schleicher, dem letzten Reichskanzler der Weimarer Republik, scheiterten bereits im selben Jahr, noch vor der Machtübernahme durch die Nazis. Schleicher umwarb damals sowohl die Gewerkschaften wie auch Gregor Strasser, einen kapitalismuskritisch gesinnten Parteiführer der NSDAP. Schleicher handelte im Sinne des Establishments, man wollte die Nazis spalten, um sie besser einbinden zu können. Doch Strasser konnte sich innerhalb der NSDAP, besonders gegen Hitler, nicht durchsetzen und auch die Gewerkschaften schreckten zurück – die Idee platzte. Strasser schwenkte anschließend auf den industriefreundlichen Hitlerkurs ein und meinte nun, „dass der Kapitalismus von den Nationalsozialisten nichts zu fürchten“ habe (1).

Die eigentliche und auch sehr erfolgreiche Querfront war die zwischen Nazis und Großindustrie. Im Februar 1933 versicherte Hitler bei einem diskreten Treffen mit den mächtigsten Industriellen des Landes, er bekenne sich zum Privateigentum und wolle der kommunistischen Gefahr trotzen. Die Konzernlenker vereinbarten daraufhin eine gemeinsame Spende in Millionenhöhe für den Wahlkampf der NSDAP zur bevorstehenden Reichstagswahl. Die Nazis gewannen diese Wahl mit einem Rekordergebnis und die Geschichte nahm ihren Lauf. Dem britischen Historiker Adam Tooze zufolge war für die Unterstützung der Industriellen entscheidend, was ihnen Hitler versprochen und dann auch durchgesetzt hatte: das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken. Soviel zur realen Querfront in der deutschen Geschichte.

Aber, so könnte man fragen, stimmt es nicht dennoch, dass die Grenzen zwischen linken und rechten Haltungen heute zunehmend verschwimmen, wo doch Linke wie Rechte so heftig das System kritisieren? Entsteht da am Ende nicht doch eine gemeinsame Front? Müssten sich Linke nicht von einer Systemkritik deutlich distanzieren, wenn auch Rechte sie lautstark äußern?

Emotional mag da mancher zustimmen wollen. Doch so einfach ist es eben nicht. Der Ansatz, eine Kritik an den Verhältnissen abzulehnen, weil auch der politische Gegner sie äußert, führt in die Irre. Eine gemeinsame Gesinnung entsteht – anders als viele meinen – nicht schon dadurch, dass man mit anderen die Diagnose eines politischen Problems teilt, etwa: „die Demokratie funktioniert derzeit nicht so, wie behauptet wird“. Anhänger ganz unterschiedlicher politischer Lager können ein Problem oder einen Sachverhalt („der Kaiser ist nackt“) in gleicher Weise erkennen, ohne dadurch zu Verbündeten zu werden. Eine Diagnose ist kein Lösungsvorschlag. Erst wer auch dort, bei der geforderten Lösung, übereinstimmt, gerät in die Nähe des anderen politisches Lagers.

KenFM ist nicht Compact

KenFM und das Compact-Magazin zum Beispiel stimmen bei den diskutierten Lösungen ganz und gar nicht überein, im Gegenteil. Während Ken Jebsen kapitalismuskritisch, herrschaftskritisch und gerade nicht autoritär argumentiert und sein Publikum immer wieder dazu aufruft, selbst zu denken und sich keinen Parteien und Hierarchien unterzuordnen, empfiehlt Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer seinen Lesern eine Koalition aus AfD und FDP als „Regierung aus dem Volk, durch das Volk und für das Volk“.

Größer könnten die Unterschiede kaum sein – was der Mainstream, gerade auch der linke Mainstream, mit TAZ, Junger Welt, Neuem Deutschland und Frankfurter Rundschau, aber konsequent ignoriert. Zu schön ist offenbar das große Feindbild, zu bequem die Möglichkeit, Journalisten wie Jebsen als Rechte auszugrenzen, die eigenen Tabuthemen – Geldsystem, Staatsterror, Machteliten – kurzerhand zu „rechten“ Anliegen zu erklären.

Herrschaftskritik aber, also das grundsätzliche Hinterfragen der Autoritäten, bleibt links, egal was die Political Correctness der etablierten Linken dazu meint. Und wer eine Ansicht mit der Begründung ablehnt, es handle sich bloß um eine absurde Verschwörungstheorie, der sollte auch willens und informiert genug sein, im Detail zu argumentieren. Etiketten kleben reicht nicht aus. Und Hysterie („überall Nazis“) hilft nicht weiter. Sie ist das Gegenteil von Aufklärung.

(Dieser Artikel erschien im Magazin Rubikon.)

Anmerkungen:

(1) Reinhard Neebe, „Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933“, Vandenhoeck & Ruprecht 1981, S. 164

9 Gedanken zu „Die Querfront-Hysterie

  1. marie

    danke, lieber paul schreyer, für diesen herausragenden artikel, mit dem alles zu diesem thema gesagt-erklärt-belegt ist.

    leider heißt das nicht, dass nun auf der grundlage dieses vorgegeben niveaus von allen nachgefragt und diskutiert werden würde, denn dies würde ja eine allgemeine wissende und aufgeklärte gesellschaft voraussetzen, doch dahin ist noch ein langer weg mit dazu völlig widerstrebenden interessen ganz unterschiedlicher machtkonstellationen, die von gier, besserwisserei, täuschungskultur, lächerlichen eitelkeiten und dem unvermögen von reflektion leben (wollen?).

    grüße an sie – und heute auch nach katalonien und die vielen anderen menschen an so unterschiedlichen orten und projekten, die sich nicht verwirren lassen.

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  2. Alexandra

    Danke für Ihre unermüdlichen Anstöße zum verantwortlichen Selberdenken, lieber Paul Schreyer! Angesichts der verstörenden Diagnose von Perfidie auf der einen und Realitätsverweigerung auf der anderen Seite weiß ich Ihren unbestechlichen Blick auf linke wie rechte Strömungen und Ihre gemäßigte Ausdrucksweise besonders zu schätzen.

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  3. Karl

    Vielen Dank für den treffenden, gut recherchierten und gut durchdachten (schlimm, dass man das so erwähnen muss, aber anscheinend setzt bei vielen, wie Sie schon beschrieben haben, logisches und faktenbezogenens Denken aus, wo Ideologien ins Spiel kommen) Artikel.
    Auch die Beobachtung, dass es sich große Teile der ehemaligen Linken im Nest bequem gemacht haben, und die abgefallenen Brosamen als Errungenschaften verteidigen wollen, statt sich zu erinnern, welche Ziele eigentlich erreicht werden sollten, unterstütze ich voll und ganz. Die Kosovo-Entscheidung der Grünen oder Hartz 4 der SPD sprechen deutliche Worte darüber, was man für Ministerämter und einen Platz am Futtertrog bereit ist zu opfern. 15 Jahre später wird diese Aufgabe der eigenen Grundprinzipien nicht einmal entschuldigt, sondern als (Vorsicht, Worthülse aus vorgeblich anderem politischen Spektrum) „alternativlos“ verteidigt.
    Wie, ausser mit Ächtung einer objektiven Retrospektive als „Fake News“ oder „Verschwörungstheorie“ könnte man sich noch vor den eigenen Anhängern präsentieren?
    Leider ist auch über 2000 Jahre nach Einführung des politischen Kozepts von „Divide et impera“ bei den Meisten nicht angekommen, dass „Querfront“ als Vorstellung wohl genau das ist, wovor sich eine kleine Machtclique am meisten fürchtet. Eine Ächtung des Terminus kommt der Verteufelung von „Russlandverstehern“ schon sehr nahe.
    Dass aber gerade die Linken, die sich die Intellektualität gerne auf ihre Fahnen schreiben, eine derartige Verarmung oder gar Ächtung und Intrumentalisierung der Sprache nicht erkennen sollen, halte ich für fragwürdig. Mal sehen, ob sie ihren Enkeln dann in 40 Jahren berichten können, sie hätten nichts bemerkt. Wie Sie, Herr Schreyer, die Zensuransätze bzgl. Herrn Jebsen verurteilt haben, verdient Hochachtung. Umsomehr, als Sie trotz unerfreulicher Konsequenzen, dazu gestanden haben. Aus meiner Sicht ein weiteres Erbe, das die Linken aufgegeben haben. Zwar wird nach Toleranz geschrien, wo es in den Kram passt, die eigenen Ideale werden aber gerne verraten, selbst wenn keine Gefahr droht.
    Neuerdings scheint die Verteidigung am Hindukusch und gegen allgegenwärtige Terroristen dem Staat und seinen Vertretern bedeutsamer zu sein als die eigene Verfassung und die darin geschützten Menschen- und Bürgerrechte.
    Es bleibt nur zu hoffen, dass mehr Menschen erkennen, dass die Wahrheit darin zu finden ist, was gesagt wird, nicht darin, wer es sagt. Damit würden aber vermutlich unsere politischen Parteien größtenteils handlungsunfähig oder sich zumindest der grundgesetzlich vorgesehenen Entscheidung nach dem Gewissen statt nach Parteidoktrin unterwerfen müssen.

    Mit freundlichen Grüßen

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  4. mikeondoor

    Ken – ein rotes Tuch für die meisten der sog. „Journalisten“. Warum? Ist doch klar: Er kann reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist (und das verbunden mit doch meist objektiven und einsehbaren Fakten) – ohne Rücksicht auf Werbekunden oder einen Hammer, der von oben kommt – wenn die Recherche nicht mainstreamkorrekt ist. Nach der Nazi-Totschlagskeule kommt jetzt eben das Querfrontargument… har har.
    Schreyer, Ganser, Jebsen, Ehlers… mein Gott, die wirklich freien Denker/Journalisten sind an einer Hand aufzulisten… und da gibt´s dann halt noch ein Problem: Der von ARD und ZDF zugerittene Konsument mit den vorgerichteten Nachrichten liebt klare und einfache Definitionen – die sauber und ohne viel Hirnmasse zu konsumieren sind.
    Systemkonfiguriert, im Dauerhamsterrad der Billiglöhne oder im festen Griff der Arge-Kontrollbehörde ist man nach 8-Stunden-Tagesstrampelei froh, wenn einem gesagt wird, was man zu denken hat….

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  5. Pingback: Was darf man eigentlich teilen? – Piratenpartei Bremen

  6. Christa Schreiber

    Es ist beängstigend, wie es inzwischen um die so hochgelobte Meinungs- und Pressefreiheit bei uns steht. Das Hinterfragen einer Sache, Zweifel äussern an einer Darstellung, kann einen ganz schnell zum Verschwörungstheoretiker machen. Wobei man sich fragen muss, was das Hinterfragen mit Verschwörung zu tun hat. Es sei denn, Aufklärung soll verhindert werden oder die andere Meinung könnte andere zum Nachdenken bringen.
    Die Pressefreiheit ist inzwischen eine Pressekontrolle geworden, die nicht hinterfragt werden darf. Dass das so ist, beweist die Kampagne gegen Ken Jebsen und andere.

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